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Ein Unschuldslamm, das keines ist

Nach diesen Kriterien wird die Beteiligung an einem Prüfungsbetrug beurteilt

Mehrere Schülerinnen und Schüler der gleichen Klasse schrieben an der schriftlichen Maturitätsprüfung im Fach Englisch Bestnoten, obwohl sie eher mittelmässige Vornoten aufwiesen. Die Schulleitung fand heraus, dass einzelne Schüler sich im Vorfeld der Prüfung die Aufgabenstellung und die Musterlösung durch unberechtigten Zugriff auf E-Mail-Kontos von Lehrpersonen beschafft und diese unter den Mitschülerinnen und -schülern verbreitet hatten. Die verdächtigten Prüflinge wurden von den Maturitätsprüfungen der laufenden Prüfungssession ausgeschlossen.

Ein Prüfling spielte allerdings das Unschuldslamm. Er wehrte sich auf dem Rekursweg gegen den Ausschluss. Er machte geltend, er habe die ihm zugespielten Unterlagen an der Prüfung nicht verwendet. Dies könne ihm weder aufgrund eines Vergleichs seiner Prüfungslösung mit der Musterlösung noch eines solchen seiner Vornoten mit der in der Maturitätsprüfung erzielten Note nachgewiesen werden. Auch sei er selber an der illegalen Beschaffung der Musterlösung nicht beteiligt gewesen, weshalb ein Ausschluss von der laufenden Prüfungssession jedenfalls in seinem Fall unverhältnismässig sei, selbst wenn der Nachweis unredlichen Verhaltens gelingen sollte.

Zunächst muss der Prüfling bei einem hinreichenden Verdacht auf unredliches Verhalten vor dem Prüfungsausschluss angehört werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Ausschluss schon aus formellen Gründen aufgehoben wird.

Für den Nachweis unredlichen Verhaltens kommt es darauf an, ob der Prüfling von der Aufgabenstellung und Musterlösung Kenntnis gehabt hat bzw. gehabt haben muss. Der Besitz allein und wie er in den Besitz der Musterlösung kam, ist nicht entscheidend. Für den Nachweis wird nicht absolute Gewissheit verlangt, sondern es genügt, dass keine ernsthaften Zweifel mehr bestehen, dass der Prüfling die Musterlösung auch verwendet hat.

Entsprechende Indizien können sich aus einem Vergleich der Musterlösung mit der Lösung des Prüflings sowie von dessen Vornoten mit der Prüfungsnote ergeben. Wenn beispielsweise in den Prüfungsnotizen bei schwierigen und stark gewichteten Aufgaben durchwegs richtige Antworten gemäss Musterlösung auftauchen, nur einzelne davon dann aber falsch auf das Antwortblatt übertragen werden, so ist das auffällig. Dies vor allem dann, wenn die «Übertragungsfehler» wenig bis keinen Sinn machen. Ebenfalls ein Indiz sind übereinstimmende Beobachtungen von beigezogenen Experten.

Zu guter Letzt muss die gewählte Sanktion verhältnismässig sein. Dies ist zwar grundsätzlich individuell in Bezug auf den betroffenen Prüfling zu beurteilen, doch darf auch die generalpräventive Wirkung eines Prüfungsausschlusses ( Ansehen und Vertrauenswürdigkeit der Schule, Prüfungschancengleichheit) berücksichtigt werden. Die gleiche Sanktion kann deshalb auch bei unterschiedlicher «Tatbeteiligung» verhältnismässig sein. Das Lamm verlor jedenfalls seine Unschuld: Aufgrund der oben stehenden Kriterien wurde der Rekurs mittlerweile rechtskräftig abgewiesen.

Stephan Hördegen, Leiter Abteilung Recht

Klasse/Stufe: Sekundarstufe II
Themen: Absenzen und SanktionenPrüfungen und Abschlüsse
Erscheinungsjahr: 2016

Weitere Informationen: www.edubs.ch

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