Datenbank zur Schulblatt-Kolumne

Was muss sich eine Lehrperson gefallen lassen?

Lehrpersonen sind vergleichsweise häufiger Kritik ausgesetzt und müssen diesbezüglich mehr aushalten

Der Vater eines Primarschülers übte im Zusammenhang mit einem Test per E-Mail Kritik an der Prüfungskorrektur und der Bewertung seines Sohnes. Er machte konkret geltend, sein Sohn habe für korrekte Antworten zu Unrecht keine oder zu wenige Punkte und damit insgesamt eine zu tiefe Prüfungsnote erhalten. Zudem beanstandete der Vater die Auswahl der gestellten Prüfungsaufgaben und behauptete, die Lehrperson habe den Schülerinnen und Schülern im Unterricht den relevanten Stoff gar nicht vermittelt. Weiter bezeichnete der Vater die Lehrperson als fachlich völlig inkompetent und beendete seine E-Mail schliesslich mit den Worten, «mit einem IQ unter 80 dürften Sie gar nicht unterrichten!». Nach Erhalt dieser E-Mail wandte sich die betroffene Lehrperson völlig entrüstet an die Schulleitung und ersuchte diese um Unterstützung. 

Den Arbeitgeber trifft gegenüber seinen Angestellten eine Fürsorgepflicht. Er hat diesbezüglich zum Schutze von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität der Angestellten die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen. So muss die Schulleitung beispielsweise eingreifen, wenn Lehrpersonen ungerechtfertigten Angriffen seitens der Eltern ausgesetzt sind. Dies kann dadurch erfolgen, dass die Schulleitung zunächst in einem Gespräch mit der Lehrperson und den Eltern die Situation zu klären versucht mit dem Ziel, die Eltern künftig von weiteren ungerechtfertigte Attacken abzuhalten. Eine allfällige Klage wegen Persönlichkeitsverletzung kann nur die betroffene Lehrperson selber in die Wege leiten.

Zu unterscheiden ist zwischen zivilrechtlichem und strafrechtlichem Persönlichkeitsschutz. Beide schützen zwar die Ehre im Sinne der menschlich-sittlichen Geltung (der gute Ruf) einer Person und damit den Respekt, den eine Person erwarten darf, weil sie sich an die allgemeinen Verhaltensnormen hält. Die Ehre im Sinne der gesellschaftlichen Geltung einer Person bezüglich wesentlicher Lebensbereiche wie Beruf, Politik, Sport etc. geniesst jedoch nur zivilrechtlichen Schutz. Vorwürfe des beruflichen Ungenügens können also nur dem Zivilrichter zur Beurteilung vorgelegt werden. Die Ehre ist insofern relativ, als sie sich auch nach Kriterien wie der sozialen Stellung und der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen bestimmt. Massgeblich ist eine objektive Betrachtungsweise des «durchschnittlichen Dritten» (insbesondere andere Eltern) in Berücksichtigung des Kontextes, in dem die Vorwürfe erfolgten.

Bei der von Eltern am Unterricht oder im Zusammenhang mit einer Prüfungskorrektur gegenüber einer Lehrperson geäusserten Kritik handelt es sich demnach in der Regel nicht um eine Persönlichkeitsverletzung. Lehrpersonen sind vergleichsweise häufiger Kritik ausgesetzt als Angehörige anderer Berufsgruppen und müssen diesbezüglich mehr aushalten. Werden jedoch – wie im eingangs geschilderten Fall – Lehrpersonen mit beleidigenden Äusserungen konfrontiert, wird eine rote Linie überschritten. Im eingangs geschilderten Fall wäre wohl eine Ehrverletzung im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Lehrperson und somit eine Persönlichkeitsverletzung nach Zivilrecht, nicht aber eine solche nach Strafrecht anzunehmen. Der betroffenen Lehrperson stünde es somit frei, gegen den fehlbaren Vater zivilrechtlich vorzugehen, um Ansprüche aus ihrem Persönlichkeitsrecht geltend zu machen. Ein Anspruch auf die Übernahme von Verfahrenskosten und/oder die Bestellung einer Rechtsvertretung durch den Arbeitgeber kommt ihr dabei nicht zu.

Jedoch werden Lehrpersonen in Rechtsstreitigkeiten, die im Zusammenhang mit ihrem Arbeitsverhältnis stehen, als Mitglied der Freiwilligen Schulsynode (FSS) durch Vertrauenspersonen und Anwälte der FSS vertreten. Wenn sich Lehrpersonen gegenüber Eltern mit rechtlichen Mitteln zur Wehr setzen wollen, müssen sie sich allfälliger negativer Konsequenzen für das zwischen ihnen und dem betroffenen Schüler oder der betroffenen Schülerin bestehende Vertrauensverhältnis bewusst sein. Für den Entscheid pro oder contra rechtliches Vorgehen bedarf es somit im Einzelfall einer entsprechenden Interessenabwägung.

Nathalie Stadelmann, Juristische Mitarbeiterin Abteilung Recht

Klasse/Stufe: PrimarstufeSekundarstufe ISekundarstufe II
Themen: ElternSchulpersonalrechtPrüfungen und Abschlüsse
Erscheinungsjahr: 2021

Weitere Informationen: www.edubs.ch

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