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Anfassen ist nicht grundsätzlich verboten

Jedoch ist es nur erlaubt, wenn es die Aufsichtspflicht oder der Erziehungsauftrag erfordern

In einer Primarschulklasse störte ein 11-jähriger Schüler wiederholt den Unterricht erheblich. Nachdem die Klassenlehrerin den Schüler mehrere Male mündlich vergeblich zum Verlassen des Klassenzimmers aufgefordert hatte, packte sie ihn am Oberarm, um ihn aus dem Zimmer hinauszuführen. Dabei fügte sie dem Schüler Schmerzen zu und am Oberarm entstand ein etwa zwei Zentimeter grosser blauer Fleck (Hämatom). Die Mutter des betroffenen Schülers beschwerte sich bei der Schulleitung über das Vorgehen der Klassenlehrerin und erstattete zugleich Strafanzeige gegen diese.  

Ist das Vorgehen der Klassenlehrerin zulässig? Gemäss kantonaler Absenzen- und Disziplinarverordnung dürfen die Lehr- und Fachpersonen angemessene  disziplinarische Massnahmen ergreifen, wenn Schülerinnen und Schüler die ihnen obliegenden Pflichten verletzen oder gegen die Regeln der Schule verstossen. Die kurzzeitige Wegweisung aus dem Unterricht ist im Massnahmen-Katalog für die Lehr- und Fachpersonen zwar nicht ausdrücklich enthalten. Trotzdem muss es – auch wenn pädagogisch vielleicht fragwürdig – im Einzelfall zulässig sein, eine störende Schülerin vorübergehend vor die Tür zu stellen, nachdem diese sich der wiederholten mündlichen Aufforderung der Lehrperson, im Unterricht aufzupassen, standhaft widersetzt hat.

Einen Schüler gewaltsam aus dem Klassenzimmer zu führen, falls dieser der mehrfachen mündlichen Aufforderung der Lehrperson, den Raum zu verlassen, nicht freiwillig nachkommt – wie im eingangs geschilderten Fall – ist hingegen nicht mehr angemessen. Die Lehrperson hätte ihrerseits mit disziplinarrechtlichen Konsequenzen zu rechnen, falls sich der Schüler oder die Erziehungsberechtigten bei der Schulleitung beschweren sollten. Die Absenzen- und Disziplinarverordnung sieht verschiedene Alternativen vor, um eine den Unterricht störende Schülerin zur Vernunft zu bringen. So können von der Lehrperson insbesondere zusätzliche Hausaufgaben oder Schularbeiten, die in der unterrichtsfreien Zeit zu erledigen sind, angeordnet werden. Das Verhalten der Lehrerin im oben erwähnten Fall könnte sogar strafrechtliche Folgen haben, wenn die Strafverfolgungsbehörde davon ausgeht, dass die begangene Tätlichkeit in «Züchtigungsabsicht» erfolgte.

Ein generelles Verbot für Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler anzufassen, gibt es allerdings – abgesehen vom heute anerkannten Züchtigungsverbot – nicht. Die Aufsichtspflicht oder der Erziehungsauftrag können ein Anfassen sogar erfordern oder rechtfertigen, zum Beispiel wenn eine Lehrperson einen Schüler festhält, der gestolpert ist und zu fallen droht, oder wenn ein Schüler einen Mitschüler oder die Lehrperson selber angreifen will. Erforderlich kann ein Umfassen oder eine ähnliche Berührung auch als Hilfestellung im Sportunterricht sein. Verboten sind dagegen Berührungen, die offensichtlich unter einem Vorwand erfolgen, keinen pädagogischen Zweck erfüllen oder einen sexuellen Bezug aufweisen.

Von Nathalie Stadelmann, Juristische Mitarbeiterin Abteilung Recht im ED Basel-Stadt

Klasse/Stufe: PrimarstufeSekundarstufe ISekundarstufe II
Themen: Absenzen und SanktionenAufsicht und HaftungElternKindesschutzSchulpersonalrecht
Erscheinungsjahr: 2019

Weitere Informationen: www.edubs.ch

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