Datenbank zur Schulblatt-Kolumne
Beurteilungsspielraum hat klare Grenzen
Rechtsfragen rund um Leistungsbeurteilungen sind Gegenstand von rund der Hälfte aller beim Erziehungsdepartement anhängig gemachten Rekurse. Bei solchen Rekursverfahren stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit eine juristische Nachprüfung von pädagogischen Entscheidungen erfolgt. Ausgangspunkt aus rechtsstaatlicher Sicht ist, dass Leistungserhebungen und –beurteilungen an öffentlichen Schulen dem Staat zurechenbare Entscheidungen sind, gegen die immer dann, wenn sie Auswirkungen auf die Laufbahn der Betroffenen haben, der Rechtsweg offen stehen muss (Rechtsweggarantie). Den Lehrpersonen kommt bei solchen Entscheidungen aber ein grosser Beurteilungsspielraum zu, in den die Rekursinstanzen nur mit grosser Zurückhaltung eingreifen. Insbesondere überprüfen diese grundsätzlich nicht, ob ein schlechtes Prädikat oder eine schlechte Note zu Recht erteilt worden ist.
Der pädagogische Beurteilungsspielraum ist allerdings kein rechtsfreier Raum. Die Rekursinstanzen stellen sich bei der Nachprüfung im Wesentlichen drei Fragen, aus denen sich die Grenzen des Beurteilungsspielraums ergeben: Erstens prüfen sie, ob ein Fehler bei der Leistungserhebung (Verfahrensfehler) vorliegt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Schüler gerade auf der Toilette war, als eine Erläuterung für das Lösen einer Aufgabe erfolgte. Zweitens fragen sich die Rekursinstanzen, ob von falschen tatsächlichen Annahmen ausgegangen wurde. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Unklarheiten hinsichtlich des relevanten Prüfungsstoffes oder über die Prüfungsfähigkeit einer Schülerin aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bestanden.
Drittens interessiert die Rekursinstanzen die Frage, ob allgemeine Bewertungsgrundsätze verletzt wurden. Zu den allgemeinen Anforderungen an eine Leistungsbeurteilung gehört, dass sie sich an sachlichen Kriterien ausrichten und nachvollziehbar sein muss. Dies wird in der neuen Schullaufbahnverordnung in § 20 explizit geregelt. Einerseits dürfen also keine Erwägungen in die Leistungsbeurteilung einfliessen, die in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Zweck der Beurteilung stehen und damit willkürlich sind. Hierzu gehören zum Beispiel polemische oder beleidigende Randbemerkungen bei schriftlichen Prüfungsarbeiten wie «vollkommen absurd» oder «abseitig». Eine (auch in einem Rekursverfahren) kaum nachweisbare Quelle sachfremder Erwägungen ist die Voreingenommenheit einer Lehrperson gegenüber einer Schülerin.
Dass die Beurteilung andererseits nachvollziehbar sein muss, bedeutet, dass sie plausibel zu begründen und diese Begründung, insbesondere für den Fall einer Rechtsstreitigkeit, auch entsprechend zu dokumentieren ist. Insoweit erscheint es problematisch, wenn die neue Schullaufbahnverordnung das Signal aussendet, Lehrpersonen hätten nicht alle Leistungsbeurteilungen aufzubewahren (§ 21 Abs. 5).
Die juristische Nachprüfung von Leistungserhebungen und -beurteilungen findet in der Wirklichkeit also nur in sehr begrenztem Umfang statt und lässt sachlich gerechtfertigte pädagogische Gesichtspunkte unberührt. Eine allgemeine Herausnahme von pädagogischen Entscheidungen aus der juristischen Nachprüfung lässt sich mit rechtsstaatlichen Grundanforderungen aber nicht vereinbaren.
Stephan Hördegen, Leiter Abteilung Recht