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Die Tücken einer Nachkorrektur
Ein Schüler beschwert sich bei der Englischlehrerin, dass sein Banknachbar an einer schriftlichen Prüfung für eine falsche Antwort Punkte und dadurch eine bessere Note erhalten habe. Die Englischlehrerin erkennt den Korrekturfehler und will die Prüfung des Banknachbarn einer Nachkorrektur unterziehen. Dieser meint, eine Nachkorrektur nach unten sei nicht zulässig. Falls dem so sei, meint jener Schüler, verlange er Gleichbehandlung und damit bei seiner Prüfung ein Nachkorrektur nach oben.
Beide Schüler haben zwar im konkreten Fall unrecht. Intuitiv sprechen sie aber heikle Gerechtigkeits- und Rechtsfragen an. Eine Nachkorrektur ist immer dann möglich, wenn die Erstkorrektur auf einem Ermessensfehler beruht. Das ist typischerweise dann der Fall, wenn für eine falsche Antwort zu Unrecht Punkte erteilt oder für die gleiche Punktzahl unterschiedliche Noten vergeben wurden. Kein Ermessensfehler liegt vor, wenn ein Punkteabzug damit begründet wird, dass die Frage bei der Erstkorrektur (zu oder eher) grosszügig bewertet worden sei. Bei einer Nachkorrektur darf weder ein strengerer Massstab angesetzt noch dürfen die Bewertungskriterien geändert werden.
Schülerinnen und Schüler haben zwar einen Anspruch auf Gleichbehandlung – es gibt aber keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht. Einem Prüfling müssen also für falsche Antworten keine zusätzlichen Punkte erteilt werden, auch wenn andere Prüflinge fälschlicherweise Punkte erhalten haben. Die Gretchenfrage ist, was mit all den Mitschülerinnen und -schülern passieren soll, deren Prüfungen allenfalls auch fehlerhaft korrigiert wurden. Absolute Gleichbehandlung könnte wohl nur durch einen Rückruf und eine Nachkorrektur aller Prüfungen sichergestellt werden. Ein solches Vorgehen würde sowohl das öffentliche Interesse an einer praktikablen Durchführung von Prüfungsbeurteilungen als auch die privaten Interessen der Mitschülerinnen und -schüler erheblich tangieren. Nicht zuletzt würde es die Glaubwürdigkeit der Lehrperson in Zweifel ziehen.
In einem allfälligen Rekursverfahren werden Prüfungen von Mitschülerinnen und -schülern nur dann beigezogen, wenn konkrete Anhalts- oder Verdachtspunkte vorgebracht werden, die auf eine rechtsungleiche Behandlung schliessen lassen. Solange sich die Schülerinnen und Schüler untereinander nicht in die Karten schauen lassen, muss sich die Englischlehrerin keine allzu grossen Sorgen machen, dass noch weitere Korrekturfehler «auffliegen» könnten.
Von Stephan Hördegen, Leiter Abteilung Recht im ED Basel-Stadt