Datenbank zur Schulblatt-Kolumne
Heikle Gratwanderung
Die Schulleiterin eines öffentlichen Gymnasiums hegt den Verdacht, dass auf dem Schulgelände mit Marihuana gehandelt wird, und meldet dies der Polizei. Bei einer durch die Polizei durchgeführten Personen- und Effektenkontrolle auf dem Schulgelände werden bei einem Schüler ein Gefrierbeutel voll Marihuana und eine elektronische Waage sichergestellt. Bei dem Schüler handelt es sich um den in der Schülerschaft äusserst populären und einzigen offiziellen Kandidaten für das Präsidium der Schülerorganisation. Die Wahl soll ausgerechnet am folgenden Tag stattfinden. In Handschellen wird der Präsident in spe von den Zivilpolizisten abgeführt, was von einem Teil der Schülerschaft bemerkt und kommentiert wird. Bei einer anschliessend an der Privatadresse durchgeführten Hausdurchsuchung werden weitere Marihuana-Portionen entdeckt. Darüber wird die Schulleiterin informiert. Sie entscheidet sich, den betreffenden Schüler wegen des Verdachts auf Betäubungsmittelkonsum und -handel sofort von der Schule und gleichzeitig von der Wahl für das Präsidium der Schülerorganisation auszuschliessen.
Über den Ausschlussentscheid und über das laufende polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz als Grund dafür informiert sie die Lehrer- und Schülerschaft durch eine knappe Mitteilung, die sie am Anschlagbrett des Gymnasiums aushängen und in die Klassenfächer legen lässt. Die Eltern des betroffenen Schülers zeigen die Schulleiterin wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses an. Mitglieder der Schulleitung und Lehrpersonen sind als Mitarbeitende des Kantons gemäss Personalgesetz zur Verschwiegenheit über Angelegenheiten verpflichtet, von denen sie aufgrund ihrer amtlichen Stellung und Tätigkeit Kenntnis erhalten (Amtsgeheimnis). Die Verletzung des Amtsgeheimnisses ist auch ein Straftatbestand.
Was den Ausschluss und dessen Umstände angeht, hat der betroffene Schüler grundsätzlich ein Geheimhaltungsinteresse. Auch wenn die Mitteilung der Schulleiterin als «schulinterne» Mitteilung gedacht war, musste sie damit rechnen, dass diese auch zur Kenntnis von Kreisen ausserhalb der Lehrer- und Schülerschaft gelangen konnte. Die schulöffentliche Mitteilung der Schulleiterin über den Ausschluss samt ihrer Begründung ist nur dann zulässig, wenn es ein berechtigtes Interesse gibt, das die Interessen des betroffenen Schülers oder allenfalls auch der Schule an einer Geheimhaltung überwiegt. Aufgrund folgender Umstände bestand offensichtlich ein Informationsbedarf und drängte sich die eine schulöffentliche Mitteilung auf: Der betroffene Schüler hatte eine grosse Fangemeinde innerhalb der Schülerschaft und war einziger Kandidat bei den unmittelbar bevorstehenden Schülerwahlen. Sowohl die Personen- und Effektenkontrolle an der Schule als auch die Abführung in Handschellen wurden zumindest von einem Teil der Schülerschaft bemerkt. Vor diesem Hintergrund musste die Schulleiterin zumindest knapp über den Stand der Dinge informieren. Bei einer unbegründeten Absage der Wahl hätte das Risiko einer erheblichen Störung des Schulbetriebes durch Protestaktionen oder dergleichen bestanden. Solche Überlegungen stellte jedenfalls das Zürcher Obergericht in einem ähnlichen Fall an. Wenn der Schulleiterin gegenüber der Lehrer- und Schülerschaft eine zur Wahrung von Ruhe und Ordnung an der Schule notwendige Erfüllung einer Informationspflicht zugebilligt werden könne, sei eine Verurteilung wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses ausgeschlossen, soweit die fragliche Mitteilung knapp und zurückhaltend formuliert sowie wahrheitsgetreu sei. Es war bei den geschilderten Umständen auch hinzunehmen, dass der Verdacht strafbaren Verhaltens möglicherweise über den Kreis von Lehrer- und Schülerschaft hinaus bekannt wurde. Letztlich durfte die Schulleiterin auch davon ausgehen, dass sie im wohlverstandenen Interesse ihrer vorgesetzten Behörde gehandelt hat, die sie grundsätzlich von ihrem Amtsgeheimnis hätte entbinden können bzw. müssen, was wegen der zeitlichen Dringlichkeit der Angelegenheit aber nicht möglich war.
Christian Meyer, Volontär und Stephan Hördegen, Leiter Abteilung Recht