Datenbank zur Schulblatt-Kolumne
Kein Sorgerecht heisst nicht kein Auskunftsrecht
Die Eltern der zehnjährigen Schülerin X sind seit einem Jahr geschieden. Der Mutter steht das alleinige Sorgerecht für ihre Tochter zu. Der Vater von X hat ein Besuchsrecht. Er möchte von der Klassenlehrerin Auskunft über die schulische Entwicklung seiner Tochter. Ausserdem wünscht er, von der Klassenlehrerin über organisierte Elternabende informiert zu werden. Die Mutter von X hat der Klassenlehrerin anlässlich eines Elterngesprächs jegliche Auskunft an den Vater untersagt. Die Klassenlehrerin weiss nun nicht, wie sie sich korrekt verhalten muss.
Das Zivilrecht gesteht dem Elternteil ohne elterliche Sorge das Recht zu, von Drittpersonen, die an der Betreuung des Kindes beteiligt sind, Auskünfte zu bekommen Zu diesen Drittpersonen zählen insbesondere die Lehr- und Fachpersonen. Auskünfte an den Elternteil ohne elterliche Sorge haben sich auf den Zustand und die Entwicklung des Kindes im schulischen Bereich zu beschränken. Es ist somit über den Leistungsstand, über Absenzen, das allgemeine Betragen des Kindes sowie seine Interessen zu informieren. Merkt die Lehrperson, dass mit den Fragen des nicht sorgeberechtigten Elternteils geklärt werden soll, wo die Familie die Ferien verbringt oder ob der andere Elternteil einen neuen Partner hat, sind die Antworten zu verweigern.
Der Elternteil ohne elterliche Sorge hat die Auskunft bei den Lehr- oder Fachpersonen selber einzuholen. Allerdings genügt ein einmaliges Begehren, um durch die Klassenlehrperson regelmässig über organisierte Elternsprechtermine informiert zu werden. Die Verordnung über die Kooperation zwischen der Schule und den Erziehungsberechtigen (Kooperationsverordnung) gewährt dem nicht sorgeberechtigten Elternteil mit Verweis auf die zivilrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich die Möglichkeit, am Standortgespräch und an anderen für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler wichtigen Gesprächen an der Schule teilzunehmen. Wenn sich der erziehungsberechtigte Elternteil gegen die Teilnahme des nicht sorgeberechtigten Elternteils an einem solchen Gespräch wehrt – wovon im oben geschilderten Fall wohl auszugehen wäre –, hat die Lehr- oder Fachperson mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil ein separates Gespräch zu führen.
Das Auskunftsrecht des nicht sorgeberechtigten Elternteils kann durch Anordnungen des Gerichts oder der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) eingeschränkt werden. In einem solchen Fall ist es Sache des sorgeberechtigten Elternteils, die Klassenlehrperson über allfällige behördliche Anordnungen beziehungsweise über ein entsprechendes bei der KESB oder einem Gericht hängiges Verfahren zu informieren.
Für den nicht sorgeberechtigten Elternteil besteht dagegen kein Anspruch auf die Teilnahme an Elternabenden, weil an diesen in der Regel Themen behandelt werden, die vor allem die Zusammenarbeit zwischen den Erziehungsberechtigten und den Lehrpersonen betreffen und es nicht um die schulische Entwicklung der einzelnen Kinder geht.
Nathalie Stadelmann, Juristische Mitarbeiterin Abteilung Recht