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Recht auf rudimentäre Begründung auch bei mündlichen Prüfungen
Anders als bei schriftlichen Prüfungen existieren bei mündlichen Prüfungen zum einen keine Prüfungsarbeit und möglicherweise auch keine anderen schriftlichen Unterlagen, die im Falle der Anfechtung der Prüfung ausgehändigt werden könnten. Zum anderen werden sich die Prüflinge aufgrund der prüfungsbedingten Stresssituation und des Umstandes, dass die Anfechtung der Prüfung in der Regel erst nach einiger Zeit erfolgt, oft nicht verlässlich an Ablauf und Inhalt der mündlichen Prüfung erinnern können. Spätestens in einem allfälligen Rekursverfahren muss die Prüfungsbehörde den Prüfungsverlauf zumindest in den groben Zügen nachzeichnen und nachvollziehbar aufzeigen können, welche Prüfungsfragen gestellt wurden, wie diese vom Prüfling beantwortet wurden und welches die erwarteten korrekten Antworten gewesen wären. Dies kann in Form eines Protokolls oder einer Liste mit den Fragen und den (zu erwartenden) Antworten erfolgen.
Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI als erste Beschwerdeinstanz) bestritt in einem Beschwerdeverfahren gegen eine mündliche Modulprüfung, die Teil einer Berufsprüfung war, das Recht auf eine rudimentäre Begründung. Die Beschwerdeführerin konnte sich nur noch an die erste Prüfungsfrage erinnern und verlangte Akteneinsicht, um die Prüfung auch in Bezug auf die weiteren Aufgaben sachgerecht anfechten zu können. Das SBFI erwog: «Weshalb sollte die Prüfungsbehörde in der Pflicht stehen, gegenüber einer Beschwerdeführerin, die sich nicht mehr an den Prüfungsablauf erinnert und somit nicht in der Lage ist, ihre Leistung realistisch zu beurteilen, bereits relativ konkrete Angaben zum Prüfungsablauf, zu Fragen und Antworten, zu erreichten und nicht erreichten Teilpunkten und Punkten sowie zu den richtigen, von den Experten erwarteten Antworten, vorlegen zu müssen? Dies könnte höchstens der Beschwerdeführerin helfen, irgendwelche Behauptungen dank der nun bestehenden Erinnerungshilfe zusammenzutragen. Es wäre sodann für die Kandidatin ein Einfaches, selbst ohne konkrete eigene Erinnerung, im Sinne der Postulierung einer Schutzbehauptung, zu den Expertenaussagen einfach jeweils das Gegenteil zu behaupten, um die angebliche Willkür glaubhaft zu machen».
Das Bundesverwaltungsgericht (als zweite Beschwerdeinstanz) konnte dieser Auffassung nichts abgewinnen. Es erwog, das rechtliche Gehör als Verfahrensgrundrecht und insbesondere der Teilgehalt der Begründungspflicht diene spezifisch dazu, dem Prüfling die notwendigen Informationen zu liefern, um die Prüfung gegebenenfalls substantiiert zu bemängeln. Es gehe im Rechtsmittelverfahren nicht darum, das ausreichende Erinnerungsvermögen des Prüflings zu testen, sondern die Notenverfügung und das Prüfungsverfahren auf seine Rechtmässigkeit hin zu überprüfen. Die Beschwerde wurde letztlich wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs gutgeheissen und die Sache an das SBFI zurückgewiesen, damit dieses das Verfahren korrekt zu Ende führe. So fanden die Aufzeichnungen zur mündlichen Prüfung doch noch ihren Weg zur Beschwerdeführerin und wurde diese in die Lage versetzt, ihre Beschwerde weiter zu begründen. Ob sie damit Erfolg hatte, ist nicht bekannt.
Das erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-404/2022 vom 11.01.2023 findet sich auf www.bvger.ch/de/rechtsprechung.
Stephan Hördegen, Leiter Abteilung Recht