Datenbank zur Schulblatt-Kolumne
Schauspiel im Adamskostüm
Eine Basler Schülerin staunte nicht schlecht, als sie in einer Aufführung des Theaters Basel ihren Geografielehrer erkannte. Ihr war zwar bekannt, dass der nur in einem Teilzeitpensum angestellte Lehrer nebenbei Theaterschauspieler ist und eine entsprechende Ausbildung absolviert hat. Sie wusste aber nicht, dass er in dieser Inszenierung mitwirkte. Das Erstaunen wich bald einem Schock, denn der Lehrer war in einzelnen Szenen vollständig nackt zu sehen.
Sie erzählte zu Hause vom Erlebten, und ihre Eltern beschwerten sich daraufhin bei der Schulleitung. Diese suchte das Gespräch mit dem Lehrer und bat ihn, im Hinblick auf seine Vorbildfunktion als Lehrperson sein momentanes Engagement auszusetzen und in Zukunft die Teilnahme an solch freizügigen Theaterinszenierungen zu unterlassen. Mit Verweis auf die kostspielige Schauspielausbildung, die wirtschaftliche Notwendigkeit seines zweiten beruflichen Standbeins – der Schauspielerei – und seine Persönlichkeitsentfaltung machte der Lehrer geltend, er könne und wolle diese Tätigkeit nicht aufgeben. Er sehe nicht, inwiefern die Ausübung seiner Lehrtätigkeit dadurch in Frage gestellt werde.
Die Lehrperson hat eine Treuepflicht gegenüber der Schule und damit auch gegenüber dem Gemeinwesen. Die Lehrperson hat – dem Wortlaut des Personalgesetzes folgend – die ihr übertragenen Aufgaben sorgfältig und gewissenhaft auszuführen sowie dabei die Interessen des Arbeitgebers zu wahren. Bei einer Lehrperson geht es um die Erfüllung der Erziehungsaufgabe. Dabei kommt der Vorbildfunktion und dem Ansehen der bzw. dem Vertrau en in die Schule als staatliche Institution eine grosse Bedeutung zu. Die Treuepflicht kann sich auch auf das Verhalten ausserhalb der Schule erstrecken. Mit Blick darauf ist eine scharfe Trennung des Verhaltens der Lehrperson in und ausserhalb der Schule nicht immer möglich.
Es fragt sich, ob die Nacktauftritte der Lehrperson im Theaterstück mit der Treuepflicht und der Vorbildfunktion vereinbar sind. Dem Interesse der Schule an einer optimalen Erfüllung des Erziehungsauftrags steht das Interesse an der Ausübung der Freiheitsrechte der Lehrperson gegenüber. Zu beachten sind die persönliche Freiheit, die Wirtschaftsfreiheit und die Kunstfreiheit. Aufgrund der Treuepflicht kann die Schule zwar die Freiheitsrechte der Lehrperson grundsätzlich auch ausserhalb der Schule einschränken. Eine solche Einschränkung ist aber nur zulässig, wenn die fragliche Aktivität die Erfüllung der Erziehungsaufgabe unmittelbar beeinträchtigt und damit in Frage stellt.
Eine Einschränkung der schauspielerischen Tätigkeit der Lehrperson wäre nur in gravierenden Fällen zulässig, zum Beispiel dann, wenn eine Nacktszene oder gar die ganze Inszenierung als sexistische, geschlechterdiskriminierende oder pornografische Darstellung zu qualifizieren wäre. Steht eine Nacktszene aber eindeutig in einem künstlerischen Kontext, was in einem gewissen Mass Provokationen und Anspielungen mit sexuellem Charakter nicht ausschliesst, rechtfertigt sich keine Einschränkung.
Ob das Schauspiel im Adamskostüm die schauspielerische Karriere des Lehrers (zumindest vorübergehend) ins Stocken bringt, hängt also davon ab, ob dadurch seine Vorbildfunktion in Frage gestellt und damit die Erfüllung seiner Erziehungsaufgabe gefährdet wird. Das kann nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände beurteilt werden. Dabei darf sich die pluralistisch ausgerichtete öffentliche Schule nicht zu sehr von den unterschiedlichen Ansichten und Wertvorstellungen der Schülerinnen und Schüler bzw. von deren Erziehungsberechtigten beeinflussen lassen.
Sebastian Rieger, Juristischer Volontär und Stephan Hördegen, Leiter Abteilung Recht