Datenbank zur Schulblatt-Kolumne

Soloflug nach tollkühnem Balanceakt

Sanktionen auf Schulreisen

Auf der Abschlussreise einer Gymnasialklasse auf die Balearen deutet zunächst nichts darauf hin, dass die Reise für einen der Schüler eine unangenehme Wendung nehmen wird. An einem Abend besucht die Klasse gemeinsam eine Folkloredarbietung. Zuvor erinnern die beiden begleitenden Lehrpersonen die Klasse nochmals an das Verbot von Alkoholexzessen, das vor der Reise vereinbart worden ist. Nach der Rückkehr der Klasse ins Hotel beschliessen drei von ein paar Gläsern Wein angeheiterte Schüler aber dennoch, mit Whiskey in den nächsten Morgen hineinzufeiern. Um Mitternacht packt einen von ihnen der Übermut. Lauthals verkündet der sonst eher ruhige 17-Jährige, er werde nun seine Trinkfestigkeit beweisen und fünfzehn Meter über Boden der Brüstung entlang auf die benachbarte Terrasse balancieren. Er taumelt, gelangt aber dennoch ans erklärte Ziel. Die Videokameras des Hotels halten alles fest und bescheren den drei Schülern den nächtlichen Besuch eines genervten Hoteldirektors. Der Schuldige wird von den Lehrpersonen sogleich zur Rede gestellt. Er soll am nächsten Morgen alleine nach Hause zurückfliegen und dort für den Rest der Woche die Schule besuchen. Widerwillig akzeptiert er die Sanktion. Ist diese rechtens?

Die im August 2014 in Kraft getretene Absenzen und Disziplinarverordnung sieht vor, dass eine Lehrperson fehlbare Schüler von auswärtigen Schulanlässen mit Benachrichtigung der Erziehungsberechtigten ausschliessen kann. Dabei ist allerdings dem Gebot der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen.

Das Gebot der Verhältnismässigkeit verlangt zunächst einmal, dass eine Massnahme wie der Ausschluss von einer Abschlussreise geeignet ist, um neue Vorfälle wie den eingetretenen zu verhindern. Das trifft für den Betroffenen in diesem Fall zweifellos zu und für den Rest der Klasse wird ein klares Zeichen gesetzt, dass ein ähnliches Fehlverhalten nicht toleriert wird.

Weiter hat sich der Ausschluss als erforderlich zu erweisen, das heisst, es muss sich in der Palette geeigneter Massnahmen um die mildeste handeln, mit der das Ziel, weitere gefährliche Situationen zu vermeiden, erreicht werden kann. Der Ausschluss ist die strengste Massnahme, die während der Abschlussreise ausgesprochen werden kann. Als milder anzusehen sind all jene Massnahmen, die es dem Fehlbaren ermöglichen, an der Reise weiter teilzunehmen. Zu denken ist etwa an eine Strafaufgabe vor Ort oder ein Ausgangs- und Alkoholverbot. Solche Massnahmen erfordern allerdings eine individuelle Beaufsichtigung des fehlbaren Schülers und binden somit Ressourcen der Lehrpersonen. Zudem können sie ihre erzieherische und abschreckende Wirkung verfehlen und den Lehrpersonen mehr Aufwand und Unannehmlichkeiten bereiten als dem betroffenen Schüler. Auch eine Massnahme, die im Hinblick auf das anvisierte Ziel zu wenig Wirkung zeitigt, ist als unverhältnismässig einzuschätzen. Der Ausschluss kann daher insgesamt als hart, aber angesichts des Vorgefallenen als notwendig eingestuft werden.

Schliesslich ist zu fragen, ob die Massnahme dem Betroffenen zumutbar ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu prüfen, ob dem Schüler auch die alleinige Rückreise zugemutet werden kann. Bei Minderjährigen ist grundsätzlich eine begleitete Heimreise sicherzustellen. Mit zunehmendem Alter kann aber von Jugendlichen, insbesondere solchen an der Schwelle zur Volljährigkeit, erwartet werden, dass sie mit entsprechender Anleitung selbst eine etwas anspruchsvollere Heimreise alleine antreten können, wenn nicht besondere individuelle Faktoren dagegen sprechen. Als solche gelten neben dem Alter insbesondere die Reife und Einsichtsfähigkeit in das eigene Tun, die psychische und physische Gesundheit sowie der Schwierigkeitsgrad der Reiseroute. Im vorliegenden Fall waren keine Faktoren ersichtlich, die gegen die Zumutbarkeit der alleinigen Heimreise gesprochen hätten.

Nach Anhörung des betroffenen Schülers empfiehlt es sich, zunächst eine Zweitmeinung der Schulleitung einzuholen und mit dieser das genaue Vorgehen abzusprechen. Darauf ist die vorgesehene Massnahme dem Schüler mitzuteilen und schliesslich sind die Erziehungsberechtigten zu informieren. Der entsprechende Entscheid muss ihnen nachvollziehbar, aber nicht richtig erscheinen. Die Verhältnismässigkeitsbeurteilung ist letztlich immer auch eine Wertungsfrage.

Philipp Schenker, Juristischer Mitarbeiter Abteilung Recht

Klasse/Stufe: Sekundarstufe II
Themen: Absenzen und SanktionenAufsicht und HaftungKindesschutzSchulausflüge
Erscheinungsjahr: 2014

Weitere Informationen: www.edubs.ch

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