Datenbank zur Schulblatt-Kolumne
«The queen can do no wrong»
Eine angehende Coiffeuse bestand ihre Lehrabschlussprüfung wegen einer schlechten Bewertung des praktischen Prüfungsteils nicht. Weil sie der Meinung war, sie sei von den Prüfungsexperten fehlerhaft benotet worden, erhob sie gegen den negativen Prüfungsentscheid Rekurs beim Erziehungsdepartement. Dieses gab ihr Recht, hob den Prüfungsentscheid auf und wies die Prüfungskommission an, der jungen Frau die Wiederholung des praktischen Teils der Prüfung kostenlos zu ermöglichen und den fraglichen Prüfungsteil bei der nächsten Prüfungssession zu wiederholen. Im zweiten Anlauf bestand sie die Prüfung mit Bravour und erhielt das Fähigkeitszeugnis. Weil sie zunächst das letzte Lehrjahr wiederholen musste und in dieser Zeit nur einen Lehrlingslohn erhielt, hat sie aber daraufhin verlangt, dass ihr die Prüfungskommission beziehungsweise das Erziehungsdepartement den erlittenen Verdienstausfall ersetzt. Die Prüfungskommission ist im Auftrag des Kantons dafür verantwortlich, dass die Lehrabschlussprüfungen korrekt durchgeführt und bewertet werden. Auch die von ihr eingesetzten Prüfungsexperten nehmen eine staatliche Aufgabe war. Kommt es zu Fehlern im Ablauf oder bei der Bewertung der Prüfung, stellt sich deshalb die Frage einer Staatshaftung. Eine persönliche Haftung der Experten gegenüber der zu prüfenden Person scheidet hingegen aus.
Eine Schadenersatzpflicht des Staates setzt insbesondere voraus, dass die Prüfungskommission bzw. die Prüfungsexperten den negativen Prüfungsentscheid unter Verletzung wesentlicher Amtspflichten getroffen haben. Dass der Prüfungsentscheid durch eine Rekursinstanz nachträglich als fehlerhaft aufgehoben wurde, genügt dabei nicht. Es muss eine unentschuldbare Fehlleistung vorliegen, die einem pflichtbewussten Prüfungsexperten nicht unterlaufen wäre.
Wesentliche Amtspflichten eines Prüfungsexperten können sich aus Prüfungsreglementen oder allgemeinen Bewertungsgrundsätzen ergeben. Eine inhaltlich unkorrekte oder zweifelhafte Bewertung von einzelnen Prüfungsleistungen stellt gemäss Bundesgericht jedenfalls noch keine haftungsauslösende Fehlleistung dar. Das gilt auch für einen Verfahrensfehler im Ablauf der Prüfung ( z.B. eine ungleiche Orientierung der Kandidaten über den Prüfungsstoff ). Es bleiben damit nur Fälle eines schuldhaften Prüfungspfusches. Zu denken ist dabei beispielsweise an den Einsatz eines unqualifizierten Prüfungsexperten oder an einen offensichtlichen Macht- oder Ermessensmissbrauch durch einen Experten anlässlich der Prüfung.
Solche Fälle sind allerdings aufgrund der weitgehenden Formalisierung der Prüfungsverfahren bei Berufszulassungsprüfungen heute kaum noch denkbar. Damit sind die Hürden für eine Schadenersatzklage nach der bisherigen Gerichtspraxis derart hochgesteckt, dass Prüfende im Sinne des englischen Verfassungsgrundsatzes «The Queen can do no wrong» (fast) nichts falsch machen können.
Ein Blick über die Grenze nach Deutschland zeigt hingegen, dass die Rechtsentwicklung auch in eine andere Richtung gehen könnte. Dort sind Schadenersatzklagen wegen fehlerhafter Prüfungsentscheidungen, die für eine Berufszulassung relevant sind, durchaus auch Erfolg beschieden. Wegen falscher Benotung seines Examens erhielt zum Beispiel ein Arzt den durch den verzögerten Abschluss seiner ärztlichen Ausbildung erlittenen Schaden in der Höhe von über 100 000
Euro durch ein Oberlandesgericht zugesprochen. Das Gericht sah bereits in einer unklaren Aufgabenstellung bei einer Multiple-Choice-Prüfung, die eindeutige Lösungsmöglichkeiten erfordere, eine evidente und damit haftungsauslösende Pflichtverletzung der Prüfungsverantwortlichen.
Olivia Reber, Juristische Volontärin und Stephan Hördegen, Leiter Abteilung Recht