Datenbank zur Schulblatt-Kolumne
Wann ist die Wiederverwendung alter Prüfungsfragen zulässig?
In einem Repetitorium, in dem Gymnasiastinnen und Gymnasiasten einer Abschlussklasse die Möglichkeit erhielten, sich in einzelnen Fächern auf die Abschlussprüfungen vorzubereiten, wurden alte Prüfungsfragen erörtert. In der schriftlichen Abschlussprüfung im Fach Mathematik waren dann mehrere Prüfungsfragen identisch mit den Übungsfragen. Ein Schüler, der nicht am Repetitorium teilgenommen hatte und im Nachhinein von diesem Umstand erfuhr, machte bei der Prüfungsleitung geltend, die Prüfung sei nicht rechtmässig und müsse zwingend wiederholt werden.
Die Frage, ob und in welchem Umfang die Verwendung alter Prüfungsfragen zulässig ist, hat schon verschiedentlich die Gerichte beschäftigt. An sich ist die erneute Verwendung von Fragen aus einer früheren Prüfung zulässig und führt nicht zwingend zur Annahme eines Verfahrensfehlers mit der Konsequenz, dass die Prüfung zu wiederholen wäre. Die Prüfung muss aber einerseits nach wie vor dazu taugen, die Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings im jeweiligen Themengebiet zuverlässig zu ermitteln. Andererseits besteht ein Rechtsgleichheitsproblem, wenn die wiederverwendeten alten Prüfungsfragen nur einzelnen Schülerinnen und Schülern bekannt waren.
Für die Beurteilung der Tauglichkeit der Prüfung ist der Prüfungszweck ein zentrales Kriterium. Gemäss Schullaufbahnverordnung soll mit der Beurteilung in der Sachkompetenz der Lernzuwachs der einzelnen Schülerinnen und Schüler festgestellt und das Erreichen der Lernziele überprüft werden. Untauglich sind Prüfungsfragen nach der Rechtsprechung dann, wenn sie den Prüflingen vorher bekannt waren, so dass sie die Lösung auswendig lernen konnten und ihnen nur eine Gedächtnis- oder je nach zulässigen Hilfsmitteln ( z.B. bei « openbook »-Prüfungen) eine Abschreibeleistung abverlangt wurde. Diese Praxis wurde allerdings für Hochschulprüfungen entwickelt und kann nicht ohne Weiteres auf Prüfungen anderer Schulstufen übertragen werden. So kann ein eingeübter Test auf Primarstufe, bei dem vorwiegend eine Gedächtnisleistung abverlangt wird, nicht von vornherein als untauglich gelten.
Bei der Überprüfung solcher Fragen, die letztlich die Qualität der Schulbildung berühren, begeben sich Juristinnen und Juristen allerdings auf ( pädagogisches ) Glatteis. Dagegen sind sie dazu berufen, Überlegungen zur Rechts- und Chancengleichheit anzustellen. Gemäss Schullaufbahnverordnung hat die Lehrperson die Schülerinnen und Schüler unter anderem rechtzeitig über die Lernziele zu informieren. Die Chancengleichheit ist gewahrt, wenn alle Prüflinge die gleichen Möglichkeiten haben, an die für die Prüfungsvorbereitung relevanten Informationen und Unterlagen zu gelangen. Hierbei ist ihnen eine gewisse Eigenaktivität bei der Informationsbeschaffung zuzumuten.
Auch hier muss nach Schulstufe und –form differenziert werden. So darf von einem Gymnasiasten mehr Eigenaktivität als von einem Primarschüler verlangt werden. Immer, wenn alte Prüfungsfragen auf einer Schulwebseite oder einer schulinternen Plattform aufgeschaltet und damit allgemein zugänglich sind, bestehen die gleichen Zugangschancen, auch wenn einzelne Prüflinge im Rahmen eines Repetitoriums über den Prüfungsstoff und bestimmte dieser Übungsfragen informiert wurden. Selbst wenn im eingangs erwähnten Fall die Übungsfragen nicht allgemein zugänglich waren, ist die Rechtsgleichheit nicht verletzt, sofern alle Prüflinge die gleiche Möglichkeit hatten, das Repetitorium zu besuchen.
Von Stephan Hördegen, Leiter Abteilung Recht im ED Basel-Stadt