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Wer haftet beim Turnunfall?

Zur Aufsichtspflicht der Lehrperson gehören auch Vorkehrungen gegen mögliche Unfälle

Unmittelbar vor Beginn des Turnunterrichts stellt der Lehrer fest, dass er das Notenheft im Lehrerzimmer liegen gelassen hat. Er entschliesst sich, dieses im Lehrerzimmer zu holen und beauftragt die 15-jährigen Sekundarschüler, zwischenzeitlich einen Hindernisparcours auf zubauen. Der Lehrer ermahnt die Schüler, während seiner kurzzeitigen Abwesenheit nicht auf den Geräten herumzuturnen. Zwei Schüler albern dennoch im Geräteraum herum, wobei der eine dem anderen eine Turnbank mit einem heftigen Ruck in den Bauch stösst. Der getroffene Schüler fällt hin und krümmt sich vor Schmerz. In diesem Moment kehrt der Lehrer zurück. Da er die Schulleitung nicht erreichen kann, ruft er sogleich die Eltern des verletzten Schülers an und ersucht diese, ihren Sohn zum Arzt zu bringen. Dieser stellt zunächst nichts Gravierendes fest. Aufgrund eintretender Taubheitsgefühle in den Füssen schliessen die Ärzte bleibende Schäden später nicht mehr aus.

Den angerichteten Schaden zu vertreten hat in erster Linie der fehlbare Schüler, der aufgrund seines Alters die Gefahr seines Tuns hätte erkennen können und deshalb trotz seiner Minderjährigkeit haftbar ist. Fraglich ist, ob auch den Lehrer eine Mitverantwortung trifft und wer gegebenenfalls neben dem Schüler vermögensrechtlich haftbar wird. Massgebend für die Beantwortung dieser Fragen ist, ob der Lehrer seine Aufsichtspflicht gewissenhaft wahrgenommen hat.

Die Aufsichtspflicht der Lehrpersonen folgt aus der Obhutspflicht, die für die Zeit in der Schule von den Eltern auf die Schule übergeht. Sie umfasst insbesondere beim Turnunterricht die Pflicht, im Interesse der Gesundheit der Schüler die nötigen Vorkehrungen zur Unfallverhütung zu treffen. Das Mass der Aufsichtspflicht bestimmt sich an dem, was in der gegebenen Situation von Schülern angesichts deren Alters und deren Reife vernünftigerweise verlangt werden kann. Aufsicht hat daher aktiv, vorausschauend und grundsätzlich lückenlos zu sein, so dass sich Schüler jederzeit beaufsichtigt fühlen. Zudem ist entscheidend, was der Lehrperson in derselben Situation an Vorkehrungen möglich und zumutbar ist. Lückenlose Aufsicht kann und muss daher nicht bedeuten, dass Schüler dauernd überwacht werden müssen. Mit zunehmendem Alter und der nötigen Instruktion, wie sie der Lehrer in diesem Fall gegeben hat, darf von ihnen ein zunehmend selbstgeleitetes vernünftiges Handeln im Schulalltag erwartet werden.

Gleichwohl lässt sich bei aller Vorsicht nicht jeder Unfall vermeiden. Verletzt sich ein Schüler, verlangt die Aufsichtspflicht, dass so schnell wie möglich eine adäquate medizinische Versorgung gewährleistet ist und wenn nötig ein Arzt beigezogen wird. Wenn die Lehrperson den Schüler nicht selber zum Arzt begleiten kann, müssen die Schulleitung oder die Erziehungsberechtigten benachrichtigt werden. Bereits beim Verdacht auf schwere Verletzungen sollte sofort die Ambulanz gerufen werden. Indem der Lehrer die Eltern benachrichtigt und diese zum Arzt geschickt hat, ist er seiner Sorgfaltspflicht hinreichend nachgekommen. Wenn eine schwerwiegendere Verletzung – zunächst selbst auch für den Arzt – nicht erkennbar war, kann der Lehrperson kein Vorwurf gemacht werden.

Eine Aufsichtspflichtverletzung und somit Haftbarkeit wäre anzunehmen, wenn eine Lehrperson es versäumt hat, die gebotenen Vorkehrungen zu treffen, und dies für den eingetretenen Schaden ursächlich gewesen ist, beispielsweise weil sie – für einen objektiven Betrachter erkennbar – von falschen Annahmen in Bezug auf die gegebene Situation oder eine Verletzung ausgegangen ist. In vermögensrechtlicher Hinsicht kann dies Forderungen auf Schadenersatz ( insbesondere Ersatz der Heilungskosten ) und Genugtuung nach sich ziehen. Nach den Bestimmungen des kantonalen Haftungsgesetzes hat dafür allerdings nicht die Lehrperson selbst, sondern der Kanton einzustehen. Nur bei Vorsatz oder Grobfahrlässigkeit ist der Kanton berechtigt, auf eine fehlbare Lehrperson Rückgriff zu nehmen.

Philipp Schenker, Juristischer Mitarbeiter Abteilung Recht

Klasse/Stufe: PrimarstufeSekundarstufe ISekundarstufe II
Themen: Aufsicht und Haftung
Erscheinungsjahr: 2016

Weitere Informationen: www.edubs.ch

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